Papa Scott, ein “Hamburger Amerikaner” mit sehr eigenwilligen Lesegewohnheiten stellt die Frage auf, warum, bzw. ob die Europäer sich den Amerikanern moralisch überlegen fühlen.

Meinen halb im Scherz gemeinten Kommentar, die Amerikaner sollten sich erstmal ein funktionierendes Wahlsystem zulegen, kontert er mit einer Liste von moralischen Verfehlungen deutscher Politiker, von denen es bekanntlicherweise reichlich gibt. Das führt insofern an dem Kern meiner Aussage vorbei, als das ich mich über die moralische Qualität der deutschen Politiker gar nicht geäussert hatte.Auf das deutsche Wahlsystem (mit Ausnahme vielleicht der lästigen Überhangmandate, deren Reduzierung allerdings eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist, wie der von Scott verlinkte Artikel ja auch darstellt) lasse ich allerdings nichts kommen. Deutsche Wahlen sind, zumindest in der Theorie und meines Erachtens auch überwiegend in der Praxis, absolut transparent und ziemlich robust gegenüber Fälschungsversuchen. Als jemand, der damals die vermaledeite Schillwahl als Wahlhelfer begleitet hat, maße ich mir an, das beurteilen zu können.

Was haben wir auf der US-Seite? Wahlcomputer ohne Papertrail, die man im Falle eines Systemchrashs auszählen könnte (wenn ich richtig informiert bin, gibt es Bundesstaaten, die die Nachzählung bereits per Gesetz unterbinden), Gerichte, die dringend nötige Nachzählungen verbieten, haufenweise Probleme bei der furchtbaren Prozedur der Wählerregistrierung (zugegeben, das ist in Deutschland mit der existenten Meldepflicht einfacher), zahlreiche verschiedene Wahlsysteme in den verschiedenen Bundesstaaten (sogar zwischen den Bezirken), ein Wahlsystem, welches den willen des Volkes noch schlimmer verzerrt als die paar Überhangmandate durch die überwiegend absolut gestellten Wahlmänner und so weiter und so fort. Das alles beinhaltet jetzt noch nicht die von beiden Seiten aktiv vorangetriebenen Manipulationen, also willentliche Aktionen.

Okay, aber zurück zum Punkt. Sicher leisten sich deutsche Politiker auch reichlich moralische Verfehlungen. Was mich an dem originalen Artikel aufregt, sind die reihenweise falsch gezogenen Schlussfolgerungen. Der Artikel argumentiert, das z.B. die gefundenen Massengräber im Irak allein die Invasion rechtfertigen und deswegen die europäische Position (contra Irak-Feldzug) ja wohl ganz klar die moralisch fragwürdigere Position sei.

Der Punkt ist: Fast alle sind sich doch einig, dass das Irak-Regime unter Saddam Hussein Menschenrechtsverletzungen gesammelt hat, wie andere Leute Briefmarken und das es daher eine gute Idee ist, dafür zu sorgen, das dieses Regime gestoppt wird/wurde.

Ich werde allerdings weiterhin behaupten, das ich es moralisch höchst bedenklich finde, nicht existente Gründe anzuführen um einen Krieg anzuzetteln (Weapons of Mass Distraction), sich noch dazu über UN und Völkerrecht hinwegzusetzen, im Irak nach dem Blitzfeldzug ein Machtvakuum zu erzeugen, das dafür sorgt, das sich die Menschen im Irak jetzt sicher nicht sicherer fühlen als vorher und hinterher zu behaupten, man habe es aus moralischen Gründen tun müssen. Zumal die wirtschaftlichen Gründe für diesen Krieg ja doch ziemlich easy auf der Hand liegen und man die humanitäre Situation im Irak nun nicht gerade als stabil bezeichnen kann (Genausowenig wie man das von Afghanistan behaupten kann, aber das nur am Rande).

Soviel zur amerikanischen Position. Was die europäische Position angeht, so will ich nicht ausschließen, das sich z.B. die französische Zurückhaltung vielleicht auch durch damals bestehende Öl-Deals mit dem Saddam-Regime erklären ließe. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, das es andere Methoden gegeben hätte, Saddam Hussein zu beseitigen, bzw. dafür zu sorgen, das Menschenrechtsverletzungen im großen Stil eben nicht mehr an der Tagesordnung sind. Die Massenvernichtungswaffen hat man ihm ja scheinbar auch recht erfolgreich abgewöhnt.

Dazu kommt, das sich die amerikanische Aussenpolitik im Spiegel der Geschichte nun nicht gerade durch den pausenlosen Kampf für die Menschenrechte darstellt. One word: Pinochet. Wobei, das wird man als Fan der chicago boys wohl eher anders sehen, als ich.

Was einen als Europäer eben immer erschreckt ist die Selbstverständlichkeit, mit der die USA Krieg als Mittel der Wahl empfinden. Der letzte echte Krieg, den die Amis auf ihrem eigenen Territorium erlebt haben, ist der Bürgerkrieg. Europa dagegen ist eigentlich nie wirklich lange Kriegsfrei gewesen, und jedes Mal erforderten die Kriege unglaublich hohe Opfer. Ich denke, die Einsicht, das Krieg NIE NIE NIE ein Mittel sein kann um Frieden zu schaffen, WAR hier einfach ein bisschen verbreiteter, vermutlich bedingt durch unsere Erfahrungen (bzw. die unserer Vorfahren). Aber keine Angst, wir sind auf dem besten Wege, das auch dieser kleine aber feine moralische Vorsprung auch wieder nach und nach ins Nirvana verschwindet.

Zurück zu Scotts re: Ich halte deutsche Politiker nicht für moralisch höherwertiger als amerikanische Politiker. Vielleicht sind sie ein bisschen weniger dreist: Haliburton baut die Irakische Ölindustrie wieder auf und Cheney ist Vize, der Wirtschaftsminister Möllemann ist über Einkaufschips gestolpert :)

Ich denke langsam einfach, Politik bzw. Macht versteht sich ab einer gewissen Ebene nicht mehr mit Moral oder dem gesunden Menschenverstand. Dabei ist es egal, ob es um Staatspolitik oder Unternehmenspolitik geht, sogar die deutsche Vereinsmeierei zeichnet sich nicht gerade durch besonders viel gesunden Menschenverstand aus.

Letztendlich wurde aus dem Artikel auch nicht so ganz klar, WER sich denn nun WEM gegenüber für moralisch überlegen hält. Die EU-Medien den US-Medien? Die EU-Bürger den US-Bürgern? Die EU-Politiker den US-Politikern? Für jede denkbare Kombination gäbe es sicher andere Erklärungen und Aussagen.